Der blaue Wasserturm

Von Frank Krämer

Mit Einbruch der Dunkelheit, der „blauen Stunde“, erlebt der Wasserturm auf dem Gelände des Weltkulturerbes Völklinger Hütte eine Verwandlung. Während die markante Silhouette sich immer weiter auf sich selbst reduziert und sich gänzlich aufzulösen scheint, leuchtet die Krone des Wasserturms blau.  Die obere, sich umschließende Fensterreihe und der dahinter im Raum  verborgene gigantische Wassertank wird von Blaulicht erhellt. Ebenso korrespondiert das Blau des Wasserturms mit den Fenstern der Pumpenstation. Ein starker minimalistischer Akzent.

Der Einsatz von Licht führt zur Sichtbarmachung, der Erklärung und Bestimmung der Koordinaten im Raum. Dieser Spur folgt Michael Seyl bisher auf konsequente Weise. 1998 waren es in der  Lichtinstallation „Burgenröte“ zwölf Pfälzer Burgen und  die Aktion „RotBlau“ am Historischen Museum der Pfalz in Speyer, in denen der Künstler dem jeweiligen Objekt ein neues eindringliches Gepräge bei Nacht gegeben hat.

Seit jeher wird die Farbe Blau dem Element Wasser zugeordnet und umgekehrt. Doch erscheint es  in diesem Falle recht mühsam, das von Seyl gewählte Blau als logische farbliche Ergänzung zum Ort zu sehen.

Das Blau ist Licht. Michael Seyl bedient sich dem  diskreten Medium  des Lichtes, um auf  die Körperhaftigkeit im übertragenen Sinne hinzuweisen.

Hier ist es zum einen das Gebäude, in den Jahren 1917 bis 1918 als Eisenbetonskelettbau errichtet, um die bestehenden Hochöfen der Völklinger Hütte mit Kühlwasser zu versorgen.

Das Objekt. Doch viel prägender setzt sich das Medium „Licht“ in konträrer Souveränität mit dem Material „Wasser“ auseinander. Das Blaue Licht nimmt die Spur  auf und verweist auf den  komplexen  Rohstoffzyklus der ehemals unter Volllast agierenden Hütte.

Bis zu 40.000 Kubikmeter Wasser pro Tag und Nacht  waren notwendig, um den aufgeheizten Stahlmäntel der sechs Hochöfen herabzukühlen. Ein weit verzweigtes Rohrleitungssystem schuf die Voraussetzungen, um diesen Kraftakt zu meistern.

Dieser im Produktionsprozess der Völklinger Hütte  implizierte Wasserhaushalt ist es, der gerade in der, zumindest heute, für den Besucher erscheinenden Immaterialität, in dem Medium des Lichtes - hier Blau - einen passenden Projektionsträger gefunden hat.

Der an exponierter Stelle stehende Wasserturm  ist durch diese „Aureolen-Erscheinung“ wieder zurückgekehrt in den , heute musealen, Betrieb der Völklinger Hütte.
 

Quelle:

"Feuer Wasser Luft. Ingrid Mwangi, Robert Hutter, Michael Seyl, Stephan Mathieu", herausgegeben von Meinrad Maria Grewenig, mit Texten von Meinrad Maria Grewenig, Horst Gerhard Haberl, Felix Klopotek und Frank Krämer, Redaktion: Frank Krämer, 19 Seiten, 9 Farbabbildungen, Weltkulturerbe Völklinger Hütte, Quantum Books Verlag, Ostfildern-Ruit. 2001, S. 10 ff.