Die kostbare Stille

Von Roland Wagner

Michael Seyls Arbeiten „in ecciesia" wurden bezeichnenderweise nicht für eine Ausstellung geschaffen. Sie stehen vielmehr im Kontext eines spirituellen Projektes, in dem es um die Entdeckung der Stille geht: Silentium!

Daheim, im „stillen Kämmerlein", gelingt es den wenigsten Menschen, Erfahrungen mit der Stille zu machen. Meist fehlt die Zeit dafür; und auch der Raum, eine Atmosphäre, die zur Stille hinführt. Die umtriebige Welt des Lauten, des Schnellen und des ständigen Tätigseins dominiert selbst das Private. Deshalb braucht Stille einen
Raum, der öffentlich zugänglich ist. Einen Ort, wo Menschen ganz für sich sein können und gleichzeitig gemeinschaftlich Erfahrungen machen, die zuhause verschlossen bleiben.

Ein der Stille gewidmeter Raum ist ein Zeichen. Er signalisiert denen, die sich in ihm sammeln - aber auch denen, die draußen bleiben  - daß es jenseits von Unruhe und Lärm noch eine andere Welt gibt, die zu entdecken sich lohnt. Die Stille ist eine Nachbarin des Unsichtbaren. Sie verweist auf die geheimisvoll verborgene Präsenz der Gotteskraft unter den Menschen.

„Silentium" öffnet die Pforten der Kirche zu einem offenen Langzeit-Gottesdienst ganz eigener Art in einem künstlerisch inszenierten Raum, der zum persönlichen und gemeinschaftlichen wortlosen Vor-Gott-Kommen einlädt. Die so „beschaulich" gewordene Stille verhilft zu einem Schweigen, das nichts (mehr) zu sagen und zu tun braucht. Ich muß nicht einmal beten oder zuhören. Ich brauche mich weder vor Gott, noch vor einem Menschen, noch vor mir selbst in irgendeiner Weise zu erklären, sondern erhalte die Erlaubnis, einfach
da zu sein mit dem, was mich im Augenblick ausmacht. Es geht um das Sich-Lassen-Können im Momentanen und Fragmentarischen meines Lebens. Ohne etwas zu mir hinzutun oder etwas von mir wegnehmen zu können, darf ich vor Gott, vor den anderen und vor mir selbst schweigend ganz der sein, der ich bin.

So lehrt die Stille die Kunst, das eigene Tun zu unterbrechen, sich zurückzunehmen und sich dem Tun und der Kraft Gottes hinzugeben.
 

Quelle:

Michael Seyl, in ecclesia, 7 Postkarten mit Texten von Horst Schwab und Roland Wagner, Druckerei und Verlag Koch, Kusel 1998