Von Horst Schwab
Die Vielfältigkeit und beherrschende
Aufdringlichkeit der uns ständig umgebenden Medienwelt droht
unsere Wahrnehmung abstumpfen zu lassen. Die somit ebenfalls bedrohte Sensibilität,
die ihrerseits Voraussetzung für die Empfangsmöglichkeit der
christlichen Botschaft ist, zu fördern, sollte deshalb ein wichtiges
Anliegen der
Kirche sein.
In den Glasfenstern der Kirchen und Kathedralen sind Licht und Farbe zur Verkündigung der Heilsbotschaft als besonders spirituell empfundene Medien seit dem frühen Mittelalter präsent. Die Lichtinstallationen und Projektionen von Michael Seyl blenden die marktschreierische Vielfalt der Effekte, die die Außenwelt bietet, im Kirchenraum zugunsten der Konzentration auf wenige Farbklänge und Bildzeichen aus. Die Grundfarben Gelb, Rot und Blau in Verbindung mit der Wirkung des Lichts im dunklen Kirchenraum verwandeln den materiellen gleichsam in einen geistig-seelischen Raum und nehmen uns mit ein Stück in eine Welt, deren Existenz wir oft nicht mehr wahrzunehmen vermögen. Dies bedeutet nicht, daß der Kirchenraum zum Illusionsraum wird, aus dem die für kurze Zeit „entrückten" Besucher und Besucherinnen dann umso ernüchternder in den Alltag zurückentlassen werden. Vielmehr geht es um ein Erneuern verborgener und verschütteter seelischer Kräfte, die aus der Stille erwachsen und die Dinge, die uns zu erdrücken drohen, relativieren und neuen Lebensmut und Lebensfreude ermöglichen. Neben der Ausblendung eines Teiles des Kirchenraumes aus dem im Dunkel verbleibenden Gesamtraum, die dem Altarbereich durch ungewohnte farbliche Akzentuierung neue Bedeutung verleiht, bezieht Michael Seyl durch Einprojezieren berühmter Kunstwerke erzählerische beziehungsweise abstrakt-erhabene Bildzeichen als zusätzliches Wahrnehmungsangebot ein.
Da die Lichtinstallationen in das von Roland
Wagner angeregte Gesamtkonzept mit Texten, Instrumental- und Vokalmusik
einbezogen werden, entsteht eine Art „Gesamtkunstwerk" als Angebot der
Kirche, in das die Besucher und Besucherinnen mit allen Sinnen einbezogen
werden. Dadurch wird dem „Gottesdienst" etwas vom Charakter einer ethisch-religiösen
Pflichtübung genommen zugunsten einer sinnlich-geistig erlebten Selbst-
und vielleicht auch Gotteserfahrung.
Quelle:
Michael Seyl, in ecclesia, 7 Postkarten mit Texten von Horst Schwab und Roland Wagner, Druckerei und Verlag Koch, Kusel 1998